... DUMM GELAUFEN MIT DEM NACHWUCHS – 6 Episoden

1. JOJO

Hallo Mutti, Hi Paps, das ist Jojo. Ich glaub es wird Zeit, daß ihr ihn mal kennen lernt! Mutter geht auf den glatzköpfigen Jüngling zu und schüttelt ihm mutig die Hand: "Freut mich, Sie mal kennen zu lernen, Jojo. Cynthia hat schon oft von Ihnen gesprochen, setzen Sie sich doch, bitte."

Paps hat währenddessen die Zeitung säuberlich gefaltet beiseite gelegt und beginnt erwartungsgemäß ohne Umschweife sein Verhör: "Na, dann erzählen Sie doch mal, wie alt sind Sie, was machen Sie, was tun Ihne Eltern?"

Der Jüngling setzt seine Zwergratte, die an einem seiner vier goldfarbenen Ohrringe nagt, auf die andere Schulter, zieht laut vernehmlich seine Nasenfeuchtigkeit hoch und streicht sich über den Oberlippenflaum: "Ich bin sechzehn und rede eigentlich nicht gern über meine Vergangenheit. War eben so das Übliche: Paar Mal von der Schule geflogen, dann von einem Heim in´s nächste geeiert, abgehau´n und von den Bullen wieder eingefangen."

Paps um Fassung ringend: "Aber Ihre Eltern, haben die sich denn gar nicht um Sie gekümmert?!" Jojo fingert eine zerknautschte Zigarette aus der Brusttasche seines ölverschmierten Jeanshemdes: "Ach, wissen Sie, Zuhälterei und auf´n Strich gehen sind knallharte Jobs. Meine Alten hab ich fast nie gesehen und wenn doch mal, dann waren sie voll oder zugekifft - haben Sie mal `ne Feuerung?"

"In unserem Hause wird nicht geraucht", raunzt Vater und kippt sich leicht zittrig einen zweistöckigen Cognac ein. "Und was ist mit Beruf, was wollen Sie lernen?"

"Jobtechnisch bin ich versorgt", grinst der Jüngling und klemmt sich die Zigarette lässig hinter´s Ohr, "ich hab mich selbständig gemacht und handle mit geklauten Autos, wenn ich sie nicht vorher gecrashed hab."

Mutter hält nichts mehr auf ihrem Sessel: "Und jetzt wollen sie unsere Tochter auch noch in diesen Sumpf ziehen, was? Das kommt überhaupt nicht in Frage!!"

Jojo macht eine abwertende Handbewegung: "Ach, ich steh doch eigentlich gar nicht auf Zusammenschmeißen und so, aber Cynthia will es wegen des Kindes."

Während Paps verzweifelt die Cognacflasche ansetzt und Mutter mit einem Weinkrampf auf dem Sofa zusammensinkt, öffnet Cynthia die Wohnungstür, vor der ein schmalbrüstiger, sommersprossiger Knabe mit roten Haaren steht.

"Komm rein, Jojo, Bad Boy ist mit seiner Show durch und ich wette, meine Eltern werden dich jetzt für ein Geschenk des Himmels halten!"

© W. Mürmann/Tomus Verlag, München

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2. OPERN-KONZERT

„So, Oliver, nun setz dich hin, das Konzert fängt gleich an. Ich wette, dein erster Opern-Konzertbesuch wird dir jede Menge Spaß machen. Guck mal, da kommt der Dirigent auf die Bühne — los, klatschen, du musst jetzt klatschen!“

(Nach der Ouvertüre schwebt die Solistin herein und beginnt mit ihrer Arie.)

„Du, Mutti, warum quietscht die Tante da so furchtbar?“

„Erstens ist das keine Tante, sondern die weltberühmte Koloratur-Sopranistin Elisabeth Tremolus und zweitens quiescht sie nicht, sondern sie singt sehr hohe Töne!“

„Aha — und warum ist die Frau Tremolus so tierisch fett?“

„Herrje, Oliver, sie ist nicht fett, sondern ein wenig vollschlank. Sie hat große Lungen, weil sie zum Singen sehr viel Luft braucht und sie muss die Töne schließlich auf irgendetwas stützen, verstehst du?“

„Hmm, bei Frau Tremolus reichen die Lungen also über den Bauch bis auf die Knie — toll! Sind die reinoperiert, oder war das gleich so?“

„Diese Menschen haben neben ihrer Begabung von der Natur eben auch einen entsprechenden Körper mitbekommen.“

„Verstehe ... Dann könnte aus Papa also auch noch ´ne ganz spitzenmäßige Koloratur-Sopranistin werden, was, Mutti?“

© W. Mürmann/Tomus Verlag, München

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3. GLÜCKLICHE NICOLE

Ingo Heumacher verfolgt am Fernseher eine Vorabendserie:

„Nee, Nora, wie du jetzt rumläufst, find ich voll daneben. Hosen und Shirt sechs Nummern zu groß und schlabbrig. Da hat man´s ja schwer, zu erkennen, dass du ein Mädchen bist. Also, wenn ich da an deine Mutter denk. Oha, Röcke hatte die an, die waren kürzer, als dein Gürtel breit ist!“

N.: „Ach, Dad, aber wenn ich so´n Outfit anhätte, würdest du doch ausrasten und mich garantiert Flittchen nennen!“

D.: „Weiß nicht, mir würde sicher eine kultiviertere Bezeichnung einfallen. Au-ßerdem war deine Mutter damals achtzehn, du bist letzten Monat gerade zarte fünfzehn geworden, das ist ja wohl ein Unterschied. Bei der Gelegenheit: Bist du eigentlich noch mit diesem Pickelgesicht Olaf zusammen?“

N.: „Na, logo, Olaf ist´n echt cooler Typ und ´n mega guter Lover!“

D.: „Willst du damit etwa andeuten, dass ihr zusammen ... ??“

N.: „Ja, glaubst du, wir spielen Hallenhalma, oder was?“

D.: „Ich verbitte mir diesen Ton und ich finde dein Handeln schamlos!“

N.: „Hey, Dad, lass Dampf ab. Schwanger werd ich schon nicht, ich nehm ja die Pille!“

D.: „Woher, zum Teufel, hast du die Pille?!“

N.: „Von Mutti, die braucht sie ja nicht mehr.“

D.: „Wer sagt dir, dass Mutti die nicht mehr braucht, hä?“

N.: „Na, Mutti — sie sagt, wegen dem einen Mal im Monat futtert sie doch keine Chemiekeulen, da reicht schließlich auch ´n Gummi.“

D.: „Ach, sagt sie das?“

N.: „Komm, Daddy, sei nicht sauer. In deinem Alter läuft´s eben nicht mehr so wie früher, das ist doch ganz normal. Übrigens, wenn du mal in Verlegenheit kommen solltest — ich hab immer´n Gummi in meiner Handtasche.“

D.: „Du hast was ... wofür?“

N.: „Na ja, Olaf ist natürlich clean, aber wenn man auf die Piste geht, weiß man nie, wegen Aids und so ...“

Ingo Heumacher schaltet ärgerlich den Fernseher aus. „Unglaublich, was uns diese überspannten Serienmacher für einen unrealistischen Mist vorsetzen! Wenn ich mir da unsere kleine Nicole vorstelle, die ist genau in dem Alter, aber das Kind denkt noch nicht einmal an sowas.“

Er öffnet, ganz gegen seine Gewohnheit, leise die Mädchenzimmertür, um noch einen liebevollen Blick auf seinen schlafenden kleinen Engel zu werfen und prallt zurück. Das Fenster steht offen und das Bett der Tochter ist leer. Auf dem Nachttisch liegt ein Zettel:

Liebe Mutti!

Sei mir bitte nicht böse, aber wir wollen das Kind. Wenn du diese Zeilen liest, bin ich mit Bobo schon auf dem Weg nach Gretna Green. Bring es Vati bitte schonend bei! Viele Küsse! Deine glückliche Nicole.

© W. Mürmann/Tomus Verlag, München

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4. KRÄFTIGES KIND

„Ich weiß gar nicht mehr, was ich noch machen soll. Unsere Wohnung gleicht einem Trümmerhaufen. David fängt jetzt an zu laufen und nichts ist mehr vor ihm sicher!“

„Ja, das kenn ich, die kleinen Racker greifen nach allem und — zack — liegt´s zerschlagen auf dem Fußboden.“

„Genau! Aber bei uns hat dann auch noch der Fußboden ein Loch. David ist nämlich ein außergewöhnlich kräftiges Kind.“

„Na, dann wird´s höchste Zeit für ein Laufgitter. Das war bei unserer Kleinen in dem Alter auch die letzte Rettung.“

„Deswegen komm ich ja gerade vom Schlosser!“

„Wieso vom Schlosser?“

„Aus dem Holzgitter ist er gestern zum dritten Mal ausgebrochen und hat es anschließend dem Babysitter um den Hals gehängt.“

„So was gibt es doch gar nicht!“

„Hab ich auch gedacht, bis ich gesehen hab, dass unser Kleinklavier im Vorgarten liegt ...“

© W. Mürmann/Tomus Verlag, München

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5. JONNY

5 Uhr 58: Sandra steht an der Ecke 48. Straße in New York City. Würde er wirklich kommen, wie er es ihr am Telefon versprochen hatte? Da, ein nachtblauer Lincoln schwebt heran und als der Typ auf dem Rücksitz die Sonnenbrille abnimmt, wird Sandra ganz schwindlig.

Tatsächlich, es ist Jonny Depp persönlich. Er springt aus der schweren Limousine, umarmt Sandra, küsst sie auf die Wange und sagt: „Komm, Baby, steig ein. Wenn du willst, zeige ich dir mein Appartement am Central Park.“

Na, was für eine Frage, Sandra würde mit ihm bis ans Ende der Welt fahren, wenn Jonny es wollte.

Sie sinkt in die weichen Lederpolster und der Chauffeur gibt Gas.

„Magst du einen Drink? Wie wär´s mit Champagner?“, fragt der coole Typ mit diesem unwiderstehlichen Lächeln.

6 Uhr 18: Der Wagen hält vor einem riesigen Appartementhaus. Jonny hilft Sandra aus dem Wagen, nimmt ihre Hand und führt sie durch den mit Marmor verkleideten Eingang, vorbei an dem obligatorischen Pförtner, der beiden freundlich zuwinkt.

Der Turbolift rauscht mit ihnen in wenigen Sekunden in die achtzehnte Etage und als Jonny sein Appartement aufschließt, um Sandra hereinzubitten, scheint sich für sie so etwas wie eine Himmelstür zu öffnen.

6 Uhr 25: Man hat es sich auf einer mit weißem Ziegenleder bespannten, meterlangen Couch bequem gemacht und tauscht Komplimente aus.

Jonny rückt näher, sieht Sandra tief in die Augen und flüstert: „Oh, Baby, ich hab nie geglaubt, dass ich einmal einer so begehrenswerten Frau begegnen würde. In deiner Nähe vergesse ich sogar den Namen meiner letzten Filmpartnerin. Ich sag´s dir ganz ehrlich: Ich will dich.“

Ein wohliger Schauer kriecht über Sandras Rücken, als Jonnys Zunge zärtlich ihre Nasenspitze berührt. Ihr steigt sein kräftig animalisch duftendes Deo in die Nase, das ihr irgendwie vertraut erscheint. „Ja, Jonny, lass es uns jetzt tun“, haucht Sandra und schlingt ihre Arme um seinen kräftigen Hals. Sie spürt seinen heißen Atem, während er ihr ganzes Gesicht mit immer feuchteren Küssen bedeckt.

6 Uhr 30: Sandra schreckt hoch, als eine ihr wohl bekannte Frauenstimme zetert: „Hasso, hör auf das Kind abzuschlecken! Und du, lass den Hund los und steh endlich auf, du musst zur Schule!“

© W. Mürmann/Tomus Verlag, München

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6. DER NEUE VATER

Lisa ist furchtbar aufgeregt, denn heute soll Kai (7) seinen voraussichtlich neuen Vater kennen lernen. Lisa ist sehr froh, den netten Augenoptiker Lukas nach all den Jahren des Alleinseins gefunden zu haben. Aber bevor sie an eine feste Bindung denkt, möchte sie sicher sein, dass Lukas auch von ihrem Sohn gemocht und akzeptiert wird.

Es läutet und Lukas steht mit einem Rosenstrauß in der einen und einem riesigen Teddybären in der anderen Hand vor der Tür. Lisa nimmt die Blumen gerührt entgegen und versorgt sie, während Kai am Teddy schnuppert und feststellt, dass dieser tierisch nach Mottenkugeln stinkt und man davon garantiert Kopfschmerzen bekommen würde.

Bei Kaffee, Kakao und Schwarzwälder Kirschtorte plaudert man und Lukas bemüht sich durch Erzählen von lustigen Geschichten redlich, die Sympathie des skeptischen Knaben zu erringen. Dann schlägt Lukas ganz spontan vor, mit dem Kleinen doch ein wenig im Park zu spielen, damit man sich etwas näher kommt. Lisa ist das nur recht und sie lässt die beiden, bewaffnet mit Baseball-Utensilien und Springseil, von dannen ziehen.

Nach einer guten Stunde kehrt das ungleiche Paar heim. Der Kleine offenbar bester Laune, Lukas hingegen hat es, sichtlich genervt, sehr eilig, sich von Lisa zu verabschieden, weil er angeblich einen sehr wichtigen Termin völlig verschwitzt hätte.

Lisa nimmt den Kleinen in den Arm und fragt etwas zögernd: „Nun, Kai, wie findest du den Lukas? Er ist doch ein richtig netter Mann, nicht wahr?

„Nee, Mutti, den kannst du vergessen, der ist für uns viel zu zimperlich!“, antwortet Kai mit einer wegwerfenden Handbewegung.

„Wieso zu zimperlich?“, fragt Lisa Böses ahnend, „was ist denn passiert?“

Kai deutet auf seinen Schläger: „Ach, erst haben wir ´n bisschen Baseball gespielt, aber als ihn der Ball versehentlich zwischen die Augen traf, hatte er schon keine Lust mehr, nur weil seine Brille im Eimer war. Dabei kriegt er die Dinger als Optiker doch umsonst.“

„Beim Wildwestspielen war er dann der wilde Mustang und ich der Cowboy. War aber kein Problem, den lahmen Gaul mit dem Lasso einzufangen. Schon beim Brandmarken hat er sich furchtbar angestellt, aber du hättest mal das Theater erleben sollen, als ich ihm die Hufe beschlagen wollte!“

© W. Mürmann/Tomus Verlag, München